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Kälteschock

Das Weizenjahr – Teil 3

Ohne Kälte keine Körner – das ist die simple Formel beim Winterweizen. Der Fachmann spricht von Vernalisation. Das heisst, eine gewisse Zeit lang müssen tiefe Temperaturen auf die Pflanze einwirken, damit diese stimuliert wird, im nächsten Jahr Blüten und Samen, also Getreidekörner, zu bilden.

Marlies Keck

Unsere Beitragsserie zum Weizenjahr:

Teil 1 — Zu Besuch bei Familie Grunder
Teil 2 — Aussaat von Winterweizen
Teil 3 — Kälteschock
Teil 4 — Hege & Pflege
Teil 5 — Die Ernte (demnächst in diesem Blog)

Das Wetter in den Monaten November und Dezember hat den Winterweizen auf den Feldern der Familie Grunder vorübergehend in eine Art Winterschlaf fallen lassen. Für die Ernteaussichten ist die Wachstumspause kein Beinbruch. Ganz im Gegenteil: Winterweizen benötigt den sogenannten Kälteschock, damit die Pflanze Blüten und Körner bilden kann. «Ideal sind rund 50 Tage mit Temperaturen zwischen null und acht Grad Celsius» sagt Bruno Grunder, während wir in seiner warmen Küche sitzen. «Der Grünanteil an der Oberfläche wächst in dieser Zeit nicht weiter, d.h. die Kälte verhindert, dass sich dieser schon zu weit entwickelt» erklärt er weiter. «Dafür sammelt das Wurzelwerk viel Kraft und Energie für die generative Phase im Frühjahr, wenn die Langtagbedingungen einsetzen. Dann erst beginnt das Schossen der Halme und damit auch das Wachsen von Ähre, Blüten und Körner.»

Junge Weizenpflanze
Die jungen Weizenpflanzen können lange Frostphasen ohne Schäden überstehen. Ideal für die Entwicklung sind aber rund 50 Tage unter acht Grad Celsius ohne grosse Temperaturschwankungen.

Hochsaison in der Mühle

Neben Winterweizen gibt es auch den Sommerweizen, der ohne diese Kältephase auskommt. «Im März oder April gesät, holt er den Entwicklungsvorsprung des Winterweizens wieder auf und kann ebenso im Juli oder August geerntet werden. Allerdings bringt er in Normaljahren deutlich weniger Ertrag.» Deshalb habe er sich für Winterweizen entschieden. Tochter Sabrina, die als Müllerin die Arbeiten in der Mühle Entenschiess verantwortet, ergänzt: «Die Winterpause auf den Feldern ist auch deshalb ideal, da wir gerade vor Weihnachten und dann auch wieder zu Ostern in der Mühle Hochsaison haben und jede helfende Hand brauchen können.» Sie schaut zu ihrem Vater und meint: Gell, Papi.» Sie lachen.

Arbeit in der Mühle
In der kalten Jahreszeit machen es sich die Menschen gerne wieder zuhause gemütlich. Das Backen von Zopf, Grittibänz, Weihnachtsgebäck, Guetzli und Kuchen hat in vielen Familien Tradition. Kein Wunder herrscht dann in der Mühle Entenschiess Hochbetrieb.

Von wegen «Pause»

Auch wenn im Winter die Arbeit auf den Feldern ruht, heisst das also nicht, dass Bruno einfach die Füsse hochlegt. «Neben der Arbeit im Stall und der Unterstützung in der Mühle kümmere ich mich jetzt um all die Dinge am Hof, die liegengeblieben sind. Dazu gehören allerlei Reparaturen wie auch die Revision und das Putzen von Maschinen und Motoren sowie das Spalten von Brennholz. Vergessen ist der Weizen aber nie, auch wenn man aktiv nichts tun kann.» Rund einmal die Woche schaue er auf den Feldern vorbei – mal gezielt, meist aber eher zufällig. Man müsse der Natur seinen Lauf lassen. Ende Februar bis Anfang März, wenn es in den Nächten noch Frost gibt, am Tag aber schon Temperaturen über 10 Grad gemessen werden, werde es dann heikel. «Mit den Schwankungen hebt und senkt sich nämlich auch der Boden» weiss Maja Grunder, die sich mittlerweile dazugesellt hat. «Das heisst, er reisst immer wieder auf, und mit ihm die Wurzeln. Geht das über mehrere Tage bis Wochen so, bleibt vom Wurzelwerk nicht mehr viel übrig.»

Arbeit im Stall
Arbeit in der Mühle
Arbeit am Traktor
Während die Felder ruhen, gibt es am Hof der Mühle Entenschiess viel zu tun. Sei es im Stall, in der Mühle oder an den Landmaschinen.

Klimawandel und andere Störfaktoren

Temperaturschwankungen sind das eine. Das andere sind Schimmelpilze oder auch Mäuse, die sich unter der Schneedecke besonders wohl fühlen. «Geschützt vor Raubvögeln können sie sich genüsslich an Wurzeln wie auch am Grünanteil vollfressen» sagt Bruno. Zum Glück sei das eher selten, zumal der Schnee heute nicht mehr über mehrere Wochen liegen bleibt. «Dafür haben wir eher zu milde Winter. Bleibt der Kältereiz aus, beginnt der Winterweizen nämlich erst später, Ährchen zu bilden. Der Langtag und die steigenden Temperaturen zwingen den Weizen aber zum Schossen. Dadurch entstehen viele unproduktive Triebe, was sich negativ auf den Ertrag auswirkt.» Neben anderen Kriterien spiele daher die Klimabeständigkeit eine grosse Rolle bei der Züchtung neuer Weizensorten. «Mit dem Ziel, dass wir auch mit 40 oder gar 30 kalten Tagen auskommen können.» Mit Blick auf das Thermometer ist das heute aber noch kein Thema.

Nächster Besuch: Pflanzenschutz

Der Anbau von Schweizer Getreide folgt umweltschonenden und nachhaltigen Standards. Bei Bio-Produktion wird ganz auf chemische Pflanzenschutzmittel verzichtet, bei der Extenso-Produktion und im ÖLN-Verfahren sind sie sehr beschränkt erlaubt. Teil 4 unserer Beitragsserie widmet sich also der Landwirtschaft im Frühjahr, wenn es darum geht, den Weizen im Wachstum zu stärken, ihn vor Krankheiten zu schützen und Unkraut zu bekämpfen. Wie das bei Bruno, Maya und Sabrina aussieht?
Hier nachzulesen.